Eröffnungsrede von Dr. Tanja Klemm

anläßlich der Ausstellung inwendig

 

Der Bildhauer Richard Serra zählt in seiner „Verb List Compilation. Actions to Relate to Oneself, Material, Place and Process“ rund 80 Verben auf, die verschiedene Handlungen wie „rollen“, „falten“ oder „knittern“ bezeichnen und die er durch Nomen wie „Spannung“, „Schwerkraft“, „Gruppierung“ etc. ergänzt.

Später, in einem Interview, erklärt Serra: „Ich wollte die Verben im Hinblick auf Materialien ausführen ohne zu denken, ohne über Zweck oder Ergebnisse nachzudenken, ohne sie als Kunst definieren zu müssen. Stattdessen wollte ich mich in den Herstellungsprozess vertiefen, das physische Potential dessen austesten, was es bedeutet mit Material zu interagieren; ohne mich in Urteils- oder Bewertungshierarchien über ihre Definition als Kunst oder Skulptur hineinbegeben zu müssen.“ [Katalog „Skulpturales Handeln“ 2012, S. 11]

Ich begrüße Sie und freue mich sehr, noch ein paar Worte zu Aino Nebels Ausstellung inwendig hier im Museum Zündorfer Wehrturm sagen zu dürfen.  

Auf den 8 Turmebenen umfasst Inwendig Arbeiten aus 17 Jahren. Der Großteil ist jüngeren Datums, d.h. aus den letzten 5 Jahren. Punktuell und präzise gesetzt markieren Papierarbeiten Fluchtlinien in die frühe Schaffensphase der Künstlerin – wie z.B. die Arbeit „Mohnkissen“, eine plastische Papierarbeit, die auf der 1. Ebene zu sehen ist – oder das „Magnolienmieder“ auf der 6. Ebene. Diese Arbeiten reichen in Aino Nebels Studienzeit an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden zurück, wo sie u.a. bei der Performance-Künstlerin und Tänzerin Ulrike Grossarth studiert hat. Papier steht hier allerdings nicht im Gegensatz zur Keramik. Es geht nicht um eine Trennung der Gattungen, Techniken und Medien: Zum einen sind, formal betrachtet, alle Arbeiten skulpturale Objekte. Und zum anderen – und das scheint mir noch wichtiger – entspringen sie alle einer gemeinsamen künstlerischen Haltung. Aus diesem Grund wird ihnen m.E. auch der Begriff Artefakt gerechter als der des Objekts. Denn Artefakt setzt sich aus dem lateinischen ars (das Handwerk) und factum (das Gemachte) zusammen, und das heißt, der Begriff schließt die langwierigen Gestaltungsprozesse, die ästhetische Praxis ein, die für Aino Nebels Arbeiten grundlegend ist. Und diese Gestaltungsprozesse umfassen auch –  ganz im Sinne Richard Serras – das formende (und schwer kontrollierbare) Potential des Materials.

Und damit sind wir auch schon mittendrin ---- D.h. hier geht es nicht um eine ästhetische Praxis, die aus bewusst gesteuerten Gestaltungsakten der schöpfenden Künstlerin besteht.  Im Gegenteil lässt Aino Nebel die Materie selbst arbeiten und formen. Was meine ich damit? Ich meine z.B. ihr Experimentieren mit heterogenen Materialien im Brennofen: Kein Einblick in das Formverhalten der unterschiedlichen Werkstoffe ist hier möglich – und damit auch keine endgültige Kontrolle darüber. Viele Arbeiten in der Ausstellung sind in mehrmaligen Brennvorgängen mit offenem Ausgang entstanden.

Ich meine mit dem formenden Potential der Materie aber auch Trocknungsprozesse von Pflanzenblüten, Schimmelbildungen am Papier, farbliches Verblassen von Erdbeerpurree –

Extreme Hitze und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit sind hier am Werk. Das sind die Basisqualitäten der spätmittelalterlichen Naturphilosophen, auf denen sie den gesamten sinnlichen, lebendigen und ständig im Werden begriffenen Kosmos aufbauten.

Im Folgenden möchte ich kurz drei Beobachtungen zur Ausstellung vertiefen. All diese Beobachtungen verbindet das Prozesshafte, das im Werden Begriffene, das sich der eindeutigen Bedeutungszuschreibung entzieht – und damit auch der Konzeptualisierung. Formendes Handeln (der Künstlerin ebenso wie der Materie und des Betrachters) ist hier wichtiger als die formale Eindeutigkeit eines in sich geschlossenen Objekts. Damit verortet sich Ainos Arbeit in dem prozessualen, material- und handlungsorientierten Skulpturbegriff der 60er Jahre –allerdings mit einem ungewöhnlichen Hauptmaterial: der Keramik.[i]

 

I. Zunächst ist da die Ortsgebundenheit, die „site-specificity“ der Arbeiten – ihre Kontextsensibilität

1. Der Titel „inwendig“ steht in direktem Bezug zum Wehrturm, vor dem wir uns befinden. Von außen macht er ausgedehnte Wandflächen sichtbar. Im Gegensatz dazu vermittelt der Innenraum aufgrund der dicken Mauern ein komprimiertes Raumgefühl und fordert Konzentration auf wenig Wandfläche.

2. Die Installation der Arbeiten arbeitet mit diesem Raumgefühl, die Anzahl der Arbeiten ist reduziert. Und nicht nur in dieser umfassenden räumlichen Anlage bezieht sich die Ausstellung auf den Wehrturm. In vielen Details verzahnen sich die Arbeiten mit innenarchitektonischen Elementen. So nimmt bspw. die Lochmusterung eines Podeststoffes die Rhythmik gestanzter metallener Schienen in den Vitrinen auf; Wandobjekte platzieren sich neben tiefen Fensterfluchten und verändern auf diese Weise die Wahrnehmung ihrer räumlichen Ausdehnung; die Lampenformen im Obergeschoss werden von der „Rohrarbeit“ aufgenommen – das Regime der Vitrinen, die zur Einzelpräsentation zwingen, wird von drapierten Tüchern (mit Witz) durchbrochen.  

II. Damit komme ich zum zweiten Punkt: „Skulpturales Handeln“

Handelnde Bewegung als Prinzip der Formwerdung exerziert Ainos Arbeit radikal an komplexen Materialien und Materialkombinationen durch, die über ihre eigenen, nicht von außen beeinflussbaren und einsehbaren Formdynamiken verfügen. Dies ist – wie bereits erwähnt – der Fall bei den traditionellen mineralischen Werkstoffen wie Ton, Glas oder Porzellan, deren verselbständigte Formbildungen Aino oftmals durch mehrere Brennvorgänge im Brennofen herausfordert, aber auch bei den organischen, zuvor lebendigen Materialien wie Blüten, Früchten, Wachs oder Holz. Welche Formungsprozesse durch Kombination dieser Materialien in Gang kamen und kommen, können Sie in der Ausstellung erfahren. 

Aino experimentiert beispielsweise mit untershiedlich hoch brennenden Materialien, um zu erfahren, wie diese in Kombination reagieren, welche Formen sie bilden, wie dies in vielen kompositen Arbeiten der Ausstellung der Fall ist. Abfälle und Scherbenhaufen werden hier ebenso mehrstufigen Brennvorgängen unterzogen und z.T. abschließend glasiert wie der mit Steinresten überzogene Boden in der Arbeit „Bodenrolle“.

All diese Experimente haben gemeinsam, dass sie, wie schon erwähnt, den Formungsprozess von der Handlung her denken, praxis(Handlung) und poiesis (Produktion) verbinden. Diese Verbindung kann so weit gehen, dass Aino in einer einzigen  Geste, wie in der Arbeit „Falte“ eine zuvor vorhandene Vasenform zusammenfaltet, die damit ihre endgültige Form findet. Ein zweites, gegenläufig extremes Beispiel sind die „Zeichnungen“, die konsequent in Alltagshandlungen eingebunden sind und erst durch diese ihre Form erhalten: ursprünglich auf einem Schlafzimmertisch angebracht, angrenzend an das Badezimmer, kondensieren sich auf diesen Blättern nicht nur morgendliche Alltagshandlungen zu Formen, sondern auch deren Materialien (Mascara, Lippenstift, Tee etc.).

 

III. Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt, zur „sichtbaren Form“

Wann ist eine Arbeit abgeschlossen, die über ein solches Höchstmaß an materieller, formender Tätigkeit verfügt und potentiell weiterarbeitet? Wann ist die Formwerdung abgeschlossen? Das ist vielleicht die schwierigste Frage, aber auch diejenige, die an einen genuinen Punkt von Aino Nebels Kunst, an den Motor ihrer künstlerischen Praxis führt – ich will und kann sie entsprechend auch nicht abschließend beantworten, denn eine solche Antwort würde an der künstlerischen Haltung Aino Nebels vorbeigehen – ich möchte nur abschließend 2 von vielen möglichen Impulsen geben:

Der erste betrifft das Gespür von Stimmigkeit, das sich in der ästhetischen Praxis, im Umgang mit den Materialien selbst verortet. Dieses Gespür ist nicht nebulös, auch wenn es nicht durch sprachliche Reflexion einholbar ist. Es beruht auf Fertigkeiten und Umgang. In seinen Vorlesungen über Ästethik führt Ludwig Wittgenstein zwei Arten an, mit gelernten Fertigkeiten (Regeln) umzugehen: Erstens diejenige, die sich an den Regeln orientiert (und diesen entsprechend ein richtig oder falsch konstatiert) und zweitens diejenige, die ein Gefühl für die Regeln entwickelt. Ich würde Aino Nebels künstlerische Haltung dieser zweiten Art zuordnen („wenn nichts mehr stört“).

Der zweite Impuls betrifft die Effekte in der Betrachtung, die emotionalen Haltungen den Arbeiten gegenüber – Haltungen, die die Künstlerin potentiell mit den Betrachtern teilt und die ebenso formgebend sind – hier scheint mir die emotionale Spannung zwischen Ekel und Anziehung in ihrer Uneindeutigkeit wichtig zu sein, die viele ihrer Arbeiten charakterisiert.

Aber auch das Lachen, das einige der Arbeiten auslösen, der „Materialwitz“ arbeitet maßgeblich an der abschließenden Form von Ainos  Arbeiten mit: So legt sich in der Arbeit „Struppiger Freund“ auf Ebene fünf das erhabene Material Porzellan („Materialerwartungen“) knautschig über den einfachen Werkstoff Ton; oder eine Metallröhre auf der oberen Ebene des Turms entpuppt sich nicht als Ready-Made (das gleichzeitig in ironischer Geste die Lampen des Gebäudes aufnimmt), sondern als gemachte Röhre aus Keramik.

Das erscheint mir als ein guter Punkt, meine Ausführungen zu beenden und Sie erneut in die Ausstellung zu entlassen.

 

Köln, 13.4.2014 

 

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