Die Befragung des Materials

Die Arbeiten von Aino Nebel sind schon seit Jahren auf nationalen und internationalen Ausstellungen vertreten. An allen großen Wettbewerben hat sie sich beteiligt. Und doch ist sie bis heute nur einem kleinen Kreis von Keramikkennern und -Liebhabern ein Begriff. Zeigte sie beim Frechener Keramikpreis 2003 eine Paraphrase auf die Rokoko-Figurinen aus Porzellan, wie sie noch bis in unsere Tage in der Meißener Manufaktur hergestellt werden, bekam sie drei Jahre später an gleicher Stelle einen der drei Preise für ganz realistische Tierhäute, die lediglich durch eine weiße Glasur verfremdet waren. Zwei Seelen scheinen in Aino Nebels Brust zu wohnen. Antje Soléau wollte mehr darüber wissen und hat sie befragt.

A.S:     In der Landesausstellung „manufactum“ zur Ermittlung der Staatspreisträger für das Kunsthandwerk in Nordrhein-Westfalen zeigtest Du eine Installation aus 14 beige-braunen Bechern aus dem Holzbrand – wenn ich das richtig gesehen habe. Für mich eine neue, eine andere Aino Nebel als die, deren Arbeiten ich seit Jahren kenne. Wie kommt’s?

A.N.:   Ich probiere gerne und immer wieder neue Materialien und Techniken aus, das ist ja nicht das erste Mal. Zu den Desperate Teabowls und dem Holzbrand bin ich durch die Zusammenarbeit mit Tomasz gekommen. Ich wurde angeregt durch seine Teeschalen, die ich außerordentlich schätze. Um nachzuvollziehen und zu verstehen, was die Qualität eines Gefäßes ausmacht habe ich mit diesen Bechern angefangen in der banalsten aller keramischen Techniken, dem Pinchen. Ich habe hier das erste Mal mit einschränkenden Regeln gearbeitet: es darf von der anfänglichen Kugel Ton nichts weggenommen und nichts hinzugefügt werden, kein Werkzeug kommt zur Anwendung, keine Glasur, kein Dekor. Einzige Variable ist der Ton in seinen unterschiedlichen Mischungen.

A.S.:     Im europaweit ausgeschriebenen Westerwaldpreis hast Du eine vergleichbare Arbeit eingereicht – ebenfalls eine Installation, dies Mal aber mit weißen, gefäßähnlichen und absolut freien Objekten. Wie verträgt sich das zusammen?

A.N.:   Meine Arbeit und mein Leben sind eng verwoben, und solange ich mich entwickle und verändere und verschiedene Erfahrungen mache, entstehen auch unterschiedliche Arbeiten. Ich habe mich nie auf irgendein ein Material, einen Stil oder gar Produkt festgelegt und werde es hoffentlich nie tun. Was mich interessiert sind Kulturtechniken, ganz besonders die sehr frühen, und die Frage, wann und wodurch ein Bild entsteht und wie sich Werte materialisieren. In die Keramik habe ich mich vertieft, weil mir das Material die allergrößte Freiheit erlaubt und es diese unendliche Fülle an Möglichkeiten gibt. Meistens erfinde ich ganz eigene Wege und Techniken, um das Material zu einer Form zu bringen. Für die weißen Wolken und Kissen aus der Installation Morning Breath wollte ich das Porzellan in den dünnsten, leichtesten und luftigsten Zustand bringen, der überhaupt möglich ist. Ich wollte eine sinnliche Fülle mit Leichtigkeit vereinen.

A.S.:    Du hast an der Burg Giebichenstein in Halle/Saale und an der HfBK in Dresden Bildhauerei studiert, die man ja allgemein mit hartem Material verbindet. Wie bist Du zu dem weichen Material Ton bzw. Porzellan gekommen?

A.N.:   Ich habe bei drei Professorinnen in Folge studiert, Una Moehrke, eine Malerin, Ursula Sax, Bildhauerin, Ulrike Grossarth, Konzept-und Performancekünstlerin. In allen drei Klassen ging es um grundsätzliche Fragen der Kunst und den jeweils individuellen Zugang und nicht um das Erlernen eines Mediums. Meine Materialien waren von Anfang an frei gewählt und vielseitig, und auch schon vor dem keramischen Material eher weich und zerbrechlich: Textilien, Pflanzen, Papier, Pergament … Zum Porzellan bin ich in Dresden gekommen durch das dort allgegenwärtige Meissener Porzellan. Ich war neugierig, wie das gemacht wird und habe mich in Meissen nach der Möglichkeit eines Praktikums erkundigt. Das war dort nicht möglich, aber man hat mich weitervermittelt an die Porzellanmanufaktur Raupach, einen kleinen Familienbetrieb. Und dann nahm die Sache ihren Lauf....

A.S.:     Auf Deiner Internetseite habe ich auch sehr reizvolle Zeichnungen gesehen. Dein bisheriges Oevre ist also sehr vielseitig und breit gefächert. Woran liegt das?

A.N.:   Das Zeichnen habe ich intensiviert, als ich, eingebunden durch das Familienleben, nach einer Möglichkeit gesucht hatte, auch zu Hause unter sehr eingeschränkten Bedingungen arbeiten zu können. Um um eine Verbindung zu finden zwischen den alltäglichen Notwendigkeiten und dem künstlerischen Tun. Um angeschlossen zu bleiben an das künstlerische Denken außerhalb des Ateliers. Bei den Zeichnungen geht es mir, ganz analog zu den keramischen Arbeiten, um das Befragen des Materials: Wie wird man seinen Eigenheiten gerecht? Wie ist das Papier?  Wie verhält sich der Ölfleck zum Frühstückstee? Wie ist der Abrieb einer Miene? Ein Strich im Vorbeigehen. Oder sehr gesetzt mit dem Linial? Sehr wichtig auch die Frage: Wie schafft man Raum auf kleinem Format?   

A.S.:    Was ist Dein künstlerisches Anliegen?

A.N.:   Ich nenne es für mich eher ein Bedürfnis als ein Anliegen. Ich brauche die künstlerische Arbeit, um eine Verbindung herzustellen zwischen mir und der Welt und den Dingen. Um zu Verstehen und um mich lebendig zu fühlen. Ich muss eine Atmosphäre, einen bestimmten Zustand im Raum erzeugen, den es sonst nicht gibt. Das Atelier ist der einzige Ort, an dem ich mich wirklich frei und geborgen fühle. Manchmal ist es auch schön, dieses Gefühl durch Ausstellungen auch anderen zugänglich zu machen, es zu teilen. Es interessiert mich nicht sonderlich, einzelne Objekte auszustellen. Es geht mir eher darum, wie durch die Objekte ein Raum verändert wird, wie zwischen ihnen die Luft zum Schwingen gebracht wird, wie ein bestimmtes Licht entsteht und eine Auflösung von Widersprüchen. Idealerweise muss man sich in einer Ausstellung die Objekte gar nicht so genau anschauen, sondern man kann sich selber spüren

A.S.:   Generell arbeitest Du fern von jedweder Gefäßähnlichkeit. Im letzten Jahr aber zeigtest Du auf dem Diessener Töpfermarkt auch Gebrauchsware. Wie ist es dazu gekommen?

 A.N.:   Die Objekte, die ich in Diessen angeboten habe, waren fast alle für einen bestimmten Anlass entstanden. Ich hatte ein Jahr zuvor zusammen mit Tomasz einen Auftrag, für den wir in Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Sterneköchen Objekte für ein besonderes Dinner- Event entwickelt haben. Wir waren in der Gestaltung sehr frei, aber in diesem Zusammenhang hatten meine Porzellanschalen und -wolken  und -strudel eine gewisse dienende Funktion, um die  optisch ja auch sehr anspruchsvollen Kreationen der Haute Cuisine zu präsentieren. Für den normalen Gebrauch taugen sie aber eher nicht.                                   Beim Nachdenken über Deine Fragen drängt sich mir eine Gegenfrage auf:

Die Fragen zielen ja alle auf die Unterschiede und Veränderungen in meiner Arbeit ab. Wenn ich aber in der Zusammenschau mein Werk betrachte, gibt es, bei allen Verschiedenheiten, etwas, das sich durchzieht und fast allen Arbeiten gemeinsam ist. Nur ist das schwer zu benennen. Fällt Dir dazu etwas ein?

A.S.:   Ja, das stimmt. Es gibt sehr große Unterschiede und immer wieder Veränderungen in Deinem Werk. Aber Du hast Dir doch eben selber die Antwort auf diese Frage gegeben, als Du sagtest, dass Du mit Deinen künstlerischen Arbeiten eine Verbindung zwischen Dir und der Welt herstellen möchtest. Zum Schluss noch eine persönliche Frage: was hat Dich von Berlin nach Köln verschlagen? Im Allgemeinen gingen die Wege von Künstlern und Galerien doch in die umgekehrte Richtung.

A.N:   Es ergab sich damals aus familiären Gründen. Aber ich muß gestehen, dass ich nach fast zehn Jahren immer noch Heimweh habe. Nicht nach der Kunstszene in Berlin, sondern nach der Weite dort und dem Wasser und nach meinen Freunden. Ich hoffe, dass ich eine Gelegenheit finde, zurück zu gehen.

A.S.:   Danke, Aino, für Deine Offenheit. Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und – vielleicht – auch eine baldige Heimkehr nach Berlin.

*Der Keramiker Tomasz Niedziolka ist der Lebensgefährte von Aino Nebel.

 

 

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